„Schreibend über die Dinge kommen“
Bernhard Setzwein liest an den Dr.-Johanna-Decker-Schulen
„Ein Schriftsteller ist ein Mensch, dem das Schreiben schwerer fällt als allen anderen Leuten“, diese Feststellung des Nobelpreisträgers Thomas Mann erwartete die Schülerinnen der Jahrgangsstufen 9 bis 12 auf der Leinwand, als Bernhard Setzwein sie am 29.09.2023 im Gerhardingersaal begrüßte. Schulleiter Hans Kistler, der viele Jahrzehnte mit ihm befreundet ist, betonte bei seiner Begrüßung das Ringen dieses Autors um jede einzelne Aussage, die Absicht, immer geschliffenere, verbesserte Sätze zu formulieren.
Der vielfach ausgezeichnete Literat Setzwein gab einen eindrucksvollen Einblick in sein Schreiben, betonte die hierfür notwendige Stille, die er als weitgereister Mann letztlich in Waldmünchen gefunden hat. Die Ruhe dort sei das Richtige für ihn, da er auf dem Hintergrund eines intensiven Lebens das Alleinsein aushalten könne.
Untermalt wurden seine Darstellungen u. a. durch Bilder aus seinem Zuhause, wobei die Zahl der Regale voller Bücher Verwunderung hervorrief. Literatur, so Bernhard Setzwein, entsteht aus Literatur. Vor dem Schreiben also steht das Lesen. Sequenzen seines Lebens als Schriftsteller untermauerte er mittels unterschiedlichster Auszüge aus seinem Werk. Seine Dankesrede anlässlich der Verleihung des Literaturpreises der Bayerischen Akademie der schönen Künste vergaß übrigens auch den Grundschullehrer nicht, der bei einem Besuch des Schlachthauses und der Vorführung des dort üblichen Bolzenschusses die Fantasie der Kinder anregte; „schwarze Pädagogik“, so nennt Setzwein dieses Vorgehen.
Das Leben eines Autors vergleicht er mit Hinweis auf Wolf Wondratschek mit dem eines Boxers, doch der Coach des Autors sei das eigene schlechte Gewissen, das ihn antreibt.
Bernhard Setzweins Poesie, die er auch in Mundart vorträgt, eröffnet bisweilen eine Welt, die heute, das bleibt zu hoffen, nicht mehr besteht. Er trägt Auszüge früher Lyrik vor, verfasst als Zivildienstleistender in einer Werkstätte für geistig und körperlich behinderte Menschen in Bad Tölz. „Dorfdeppen“, so nannte man sie dort, auch daheim waren sie nicht gelitten, einer, so der Autor, flüchtete sich aus seinem „Zuhause“ regelmäßig in die Dorfkneipe, verstand nicht, dass er auch dort nur der „Depp“ blieb.
Der Aufruf zur Menschlichkeit und Mitmenschlichkeit dringt aus jeder Silbe dieser Gedichte, die im Dialekt jener Gegend umso eindringlicher hallen.
Etliche seiner Romane erwähnt Bernhard Setzwein, trägt beeindruckende Stellen vor, etwa jene, in der die japanische Ehefrau Mitsuko, die ihrem Mann Heinrich Graf Coudenhove-Kalergi heim ins Schloss Ronsperg, das heute in Tschechien liegt, folgt, entsetzt ist über das Tafelsilber, das vor ihr doch schon andere zum Munde führten.
Auslösende Momente des Schreibens schildert er, etwa die Faszination, die einzelne Persönlichkeiten dieser gräflichen Familie auf ihn ausübten, jedoch auch die der Orte, denen er sich nicht nur literarisch nähert.
Seine Theaterstücke, etwa jene, in denen Lola Montez oder Dietrich Bonhoeffer zu Wort kommen, hätte Bernhard Setzwein noch ansprechen wollen, viele und vielfältige Fragen seiner Hörerinnen aber ließen dies nicht zu.
Die Offenheit, mit der er antwortet, irritiert beinahe, etwa die finanzielle Situation als Autor klärt er gnadenlos. Wenn diese so schwierig sein kann, warum wählt er dann diesen Weg? Weil es nicht anders geht. Fast möchte man mit Christa Wolf feststellen, dass er „nur schreibend über die Dinge“ kommt. So wird es sein, da ist ein Mensch, eine Welt, die er sieht, sie ruft danach, festgehalten zu werden.
Text: dek, Bilder: eis