„Wer is(s)t denn noch normal?“

Diplom -Sozialpädagogin Claudia Burmeister informiert und stärkt Eltern im Kampf gegen Essstörungen

Eine Karikatur zeigt die Anbetung einer Statue im Jahr 2000 vor und 2000 nach Christus. Das Szenario scheint ähnlich, doch die Körperform der Figur könnte unterschiedlicher nicht sein. Was also als schön und ästhetisch gilt, liegt somit rein im Auge des Betrachters. Dennoch  bestimmt das Streben nach extremer Schlankheit das Leben von 30 % aller jungen Mädchen. Wie Eltern frühzeitig Warnsignale erkennen, Ursachen verstehen und an Hilfe gelangen können, darüber informierte Diplom-Sozialpädagogin Claudia Burmeister Eltern am 01.03.2023 im Gerhardinger-Saal unserer Schule.

Zunächst erläuterte sie unterschiedliche Facetten von Essstörungen. Neben den bekannten Formen, wie z.B. der Bulimie oder der Magersucht, stellte sie aber auch neuere Ausprägungen vor. Orthorexie, eine zwanghafte Fixierung auf den ausschließlichen Verzehr von gesunden Nahrungsmitteln, wurde genannt. Das Thema „Lebensmittel“ rückt hier derart in den Fokus, dass das Essen keinen Genuss mehr darstellt und eine Art Phobie vor ungesunden Produkten entsteht. Stellen Eltern fest, dass ihre Kinder sehr wählerisch sind, viele Speisen vermeiden, zum Teil Ekel und Übelkeit beim Essen verspüren oder ihre Ernährung auf kaum variierende Nahrungsmittel stützen, kann eine sog. „ARFID“ vorliegen. Burmeister beruhigt, dass z.B. eine vegane Ernährung per se keine ungesunde Ernährungsweise darstellt, sie aber durchaus zu einer Magersucht werden kann.

Die Gründe, die zu einem gestörten Essverhalten führen, sind vielschichtig und können nicht pauschalisiert werden. Selbst in einem scheinbar idealen Familienumfeld kann eine Essstörung entstehen. Zu glauben, Essgestörte möchten mit ihrem Verhalten nur Aufmerksamkeit erregen, ist zu einfach gedacht. Diesen Grundsatz möchte Frau Burmeister den anwesenden Eltern unbedingt vermitteln. Da es keine bewusste Entscheidung der Patienten für eine Essstörung gibt, ist es auch nicht möglich, „einfach“ damit aufzuhören und wieder normal zu essen.

Dennoch erwähnte die Referentin generelle Risikofaktoren. Vor allem gesellschaftliche Strukturen, Rollenwidersprüche und Schönheitsideale bieten der Essstörung einen fruchtbaren Nährboden. Ebenso können Ursachen im familiären Umfeld gesucht werden, wobei hier vor allem die Familien, die eng zusammenhalten, wenig streiten und nach außen hin als perfekt gelten, riskant sind. Überbehütung stellt daher eine größere Gefahr dar als Vernachlässigung. Doch auch Situationen, in denen Kinder auf Grund von Erkrankungen der Eltern oder sonstigen Problemen als Tröster oder soziale Anlaufstelle dienen, können problematisch sein.

Häufig setzen betroffene Kinder ihren eigenen Wert mit ihrem Gewicht gleich. Perfektionismus und das Streben nach Leistung führen zu Glaubenssätzen wie „Ich bin nur etwas wert, wenn ich mein Bestes gebe.“ Ein wichtiger Schritt ist es daher, den Betroffenen Rückhalt und Zuversicht zu geben, die Lage wieder in den Griff bekommen zu können. Frust und Verzweiflung der Eltern dürfen sich somit immer nur auf die Krankheit an sich und nicht gegen das Kind richten. Dies auch so zu kommunizieren, ist laut der Diplom Sozialpädagogin entscheidend.

Frau Burmeister erklärte den Eltern, dass eine Essstörung für viele Patienten auch eine psychische und emotionale Funktion habe. Macht man sich als Angehöriger klar, dass ein übertriebenes Essen eine Art Belohnung, ein Hungern aber eine Art Bestrafung oder Kontrollempfinden über das eigene Leben darstellt, können tieferliegende Ursachen und Gründe leichter erkannt werden.

Erschreckend für alle Zuhörerinnen und Zuhörer war sicherlich die Tatsache, dass 10 – 15% aller Magersüchtigen versterben und ein gestörtes Essverhalten daher die psychische Krankheit mit der höchsten Sterblichkeit ist. Ein natürliches Essverhalten, das zu einem normalen Body-Mass-Index führt, wird immer seltener. Umso wichtig war es für die anwesenden Eltern, Möglichkeiten an die Hand zu bekommen, wie sie ihre Kinder unterstützen können.

Die ruhige und wohlwollende Konfrontation der Betroffenen mit den Beobachtungen des Umfelds ist ein wichtiger, wenn auch unangenehmer Schritt. Obwohl dieses Gespräch zunächst häufig auf Ablehnung stößt, sollte man beharrlich bleiben. Auf keinen Fall dürfen Eltern hinter dem Rücken ihrer Kinder Schritte einleiten. Eine offene Kommunikation, die die Sorgen und Ängste der Eltern schildert und es schafft, Konflikte auch auszuhalten, ist für eine gute Zusammenarbeit zwischen Eltern und Kind von äußerster Wichtigkeit.

Text: alk
Bilder: rom